Mittwoch, 8. Oktober 2014
Über Freiwillige
Es ist mir aufgefallen, dass unter Freiwilligen, die ja theoretisch, altruistisch, für andere, Gutes tun, die Gespräche relativ stark um die eigenen Persönlichkeiten, Ziele, Wünsche und Träume kreisen.
Zugegeben, kein Mensch entscheidet sich normalerweise, irgendetwas ohne den geringsten Eigennutzen zu tun. Diese Tatsache kann man leicht evolutiv begründen, mit Genetik, egoistischem Gen, dem Erhaltungsdrang.
Aber trotzdem: Freiwillige werden doch meistens als altruistische Menschen angesehen, die anderen ohne Belohnung helfen.

Teilweise stimmt das ja auch: In meinem Fall versuche ich Kindern, denen es nicht gut geht und die ein relativ tristes Leben führen, die Möglichkeit zu geben, Neues zu lernen und zu erfahren, ein bisschen Spaβ zu haben, sich eventuell ein wenig weiter zu entwickeln und soziale Kontakte zu knüpfen, die über ihr gewöhnlich sehr begrenztes Umfeld hinaus wachsen.
Natürlich klingt das sehr positiv, vielleicht zu sehr. Denn mein Wirkungskreis ist bedingt begrenzt; ob mein Einsatz reell viel bringt kann ich nicht beurteilen.
In der Tat habe ich ja keinerlei spezifische Ausbildung oder Erfahrung in diesem Bereich.

Trotzdem könnte man behaupten, dass mein Aufenthalt hier in Samara einen komplett uneigennützigen Grund hat und mir das besonders hoch anrechnen.
So oder ähnlich ist es bei anderen Freiwilligen, die ebenfalls mit Kindern arbeiten oder diese Projekte ermöglichen.

Doch man sollte es nicht bei diesen Beobachtungen belassen. Denn auch ich, die sich vermeintlich „hingibt“ ziehe beträchtliche Vorteile aus den Projekten: Sprachkenntnisse, Erfahrungen, Wachstum durch Herausforderung. Zudem habe ich eigentlich keine Unkosten obschon ich Tausende Kilometer weit weg bin, hier wohne, esse, lebe, Freizeit habe und alle 3 Monate nach Hause muss um mein Visum zu erneuern.
Von Ausbeutung oder Aufopferung kann also nicht die Rede sein.

Mein Status hier ist also zwiespältig: denn wenn ich arbeiten oder studieren würde, wäre das logischerweise quasi rein auf mich und meine Zukunft sowie mein Wohlbefinden bezogen, auch wenn durch meinen, in dem Fall bezahlten, Einsatz, die Lebensqualität anderer verbessert werden sollte.


Dies ist auch vielleicht der springende Punkt in der Sache: Ich ziehe ganz klar persönliche Vorteile aus meinem Projekt. Aber, bestenfalls, auch die Kinder und junge Erwachsene, mit denen ich arbeite und Zeit verbringe.
Beide Seiten sollten also an diesen Erfahrungen wachsen und etwas dabei gewinnen. Wenn dies der Fall ist, kann man dann zumindest von einer Tat reden, die nicht rein egoistisch und auf sichselbst bezogen ist.
Vielleicht ist sogar dies in unserer Gesellschaft etwas besonderes, das unserem Status als Freiwillige dann doch etwas moralisch lobenswertes verleiht ohne von Aufopferung zu reden.

... link (0 Kommentare)   ... comment