Freitag, 22. Mai 2015


Sonnenuntergang auf der Insel Olkhon im Baikalsee



Aussicht auf das „groβe Meer“-den offenen See


Nach einem dreitägigen Aufenthalt in einem der schönsten Orte, die ich je gesehen habe, fühlte ich mich einerseits innerlich aufgewühlt und gleichzeitig gereinigt-wahrscheinlich, weil beides zusammenhängt: Frisches oder Neues kann nur eine säubernde Wirkung haben, wenn Altes aufgemischt wird.
Die Frage die sich aber eigentlich stellt ist, warum?
Darauf würde ich antworten, dass es die Natur ist: Diese 720 Quadratkilometer groβe Insel (ein Drittel der Fläche Luxemburgs), die gröβte des Baikalsees (der flächenmäβig Belgien entspricht), zählt nur ungefähr 1700 feste Einwohner. Da ich im Mai, also noch nicht in der Touristensaison, da war, waren auch kaum mehr Menschen dort.
Dementsprechend natürlich ist die Umgebung: absolut kein Asphalt, frei herumlaufende Kühe, Pferde und Schafe, bunte Tücher des Schamanenkults, viel Wald, Felsen (teilweise „heilige“), und vor allem der See, der, wenn man nicht dem Festland gegenübersteht, wie ein Meer aussieht-nur, dass das Wasser so sauber und klar ist, dass man es trinken kann.
Das Wetter war (für mich) überraschend gut, wahrscheinlich, weil das westeuropäische Bild Sibiriens im Mai nicht sommerlichen 15-20 Grad (im Schatten) entspricht. Natürlich ist es seebedingt windig und rau-aber das macht für mich unter anderem den Charme des Ortes aus.

Denn es ist diese unbegreifliche Weite und Wildheit der Natur, die die auβergewöhnliche Schönheit des Ortes ausmacht.
Obwohl es abends kühler wird, ist es dort mit Sicherheit der atemberaubendste Moment des Tages: Der scheinbar unendliche Sonnenuntergang über dem See mit einigen übrig gebliebenen, leise knisternden Eisschollen, neben den schroffen und spitz emporragenden Felsen, mit ein paar Möwen, die gleichgültig herumfliegen, begleitet von einer Brise. Die Wolken färben sich von gelb, über orange zu feuerrot oder violett. Es herrscht eine Stille die keine ist: aber eine natürliche Ruhe.

Ich stand als Mensch da und selbst nach einer halben Stunde oder mehr, war es noch faszinierend. Im Nachhinein frage ich mich, wie das sein kann. Natürlich ist es ein unvergleichliches Naturschauspiel-doch wieso ziehen uns solche Phänomene so in ihren Bann?
Zunächst ist der Anblick so überwältigend, dass ich ihn ganz in mich aufnehmen möchte; ihn nicht mehr vergessen will-die Welt ist doch so unglaublich!
Denn nach einiger Zeit wird mir klar, dass dies alles den Verstand einfach übersteigt: Als Mensch kann man so etwas vielleicht nicht begreifen, es erscheint absurd:
Die Natur ist so riesig, so wundervoll und gleichzeitig rau und hart-und vor allem: Sie existiert einfach; gleichgültig, was uns angeht.
Sie sucht nach keinem Sinn; weil sie keinen braucht-es gibt sie nur einfach.
Ich merke, dass ich das aber nicht verstehen kann; die Vernunft kann nicht nur einfach sein.
Vielleicht bleiben die Gedanken auch nicht lange dabei stehen: Sie schweifen ab, fliegen aus in die Weite, die sie umgibt. Doch auch dort bleiben sie nicht-denn es geht so weit-sie kommen dann wieder auf das Menschliche, Fassbare zurück.
Nachdem man so weit auβer sich sein konnte, geht man dementsprechend weit in sich zurück: Zusammenhänge, Wünsche, Probleme, Mängel und Hoffnungen sind plötzlich klarer und reiner; ohne Störungen, ohne Lügen.
Normalweise ist es schwer, wahrhaftig mit sich alleine zu sein, da entweder Menschen oder zumindest ihre Präsenz (beispielsweise in Häusern, Straβen oder Landschaften) immer spürbar in der Nähe sind.
Hier ist das anders: Die Natur leistet keine Gesellschaft, die ist nur ein Rahmen, der einen auf eine angenehme aber sehr intensive Art und Weise alleine sein lässt.

Doch gerade weil diese Reinigung so gründlich ist, ist sie vor allem auf Dauer anstrengend: Nach einer Weile wird es zu viel, zu einnehmend, sodass die Gedanken sich wieder nach auβen wenden.
Zuerst wieder auf die Natur, dann sehne ich mich wieder nach anderen Menschen-weil sie auf einer Ebene und somit greifbar und zugänglich, wenn auch nicht unbedingt verständlich, sind.
Nach der Konfrontation mit der Weite ist dies Balsam für die Seele wie nach einem heiβen Bad; beruhigend und aufbauend.


(Ein bisschen Kitsch muss manchmal sein.)

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Freitag, 1. Mai 2015
Ein wichtiger Aspekt des Lebens im Ausland ist die Fähigkeit, Kontakt mit zu Hause und den Menschen, die einem wichtig sind, zu halten.
Als ich noch in Luxemburg gewohnt habe, hatte ich nur die umgekehrte Erfahrung: Menschen, die wegziehen, und die natürlich trotzdem ihre Beziehungen nicht vernachlässigen möchten.

Dieses Mal war das grundlegend anders, weil alle, die mir auf irgend eine Weise wichtig sind, weit weg waren.
Erster Gedanke: Glücklicherweise gibt es ja trotzdem Internet; und dank facebook,E-Mail oder Skype bleibt es einfacher am Laufenden zu bleiben.
So kommt es auch, dass ich mich weiterhin problemlos mit Familie und Freunden austauschen konnte und kann. Mithilfe von Fotos oder Videoanrufen geht es natürlich noch besser.
Es ist also in jedem Fall wahr, dass Internet die Ferne weniger fern erscheinen lässt: Es ist durchaus möglich, regen Kontakt zu haben-vielleicht sogar teilweise zu oft, weil man die direkte Nähe kompensieren möchte.
Nun ist es aber trotzdem so, dass ich von vorne herein wusste, dass mir nur virtueller Kontakt nicht reichen werde, weil er irgendwie unpersönlich bleibt: Sogar ein Live-Video ist ohne wirklich individuellen Anstrich.

Deshalb habe ich schon vor meiner Abreise Adressen gesammelt: Meine besondere Vorliebe kommt vielleicht von der Tatsache, dass ich schon seit meiner frühen Kindheit Briefwechsel hatte-doch ich habe gute Gründe zu glauben, dass ich sie in jedem Fall schätzen würde.
In der Tat hat ein Brief mehrere Vorteile gegenüber Internet:
Zunächst nimmt man sich in der Regel mehr Zeit, ihn zu schreiben, als wenn man über einen Facebook-Chat Nachrichten schreibt, die man mit einem Tastenklick abschicken kann. Zudem kommt es nicht auf eine Stunde an, weshalb man den richtigen Zeitpunkt zum Schreiben aussuchen kann, und diesen auch fokussierter dazu nutzen kann.
In der Tat ist es ja so, dass man auf Internet durch die Tatsache, dass man mehrere Seite gleichzeitig öffnen kann und selbst auf einer Seite mit vielen Menschen zur selben Zeit kommunizieren kann, abgelenkt ist und dazu tendiert, nicht bei der Sache zu bleiben. Dadurch ist die Kommunikation sicherlich gestört und nicht immer klar, wobei umso leichter Missverständnisse entstehen können.
Deshalb habe ich das Gefühl, mich in einem Brief genauer und besser ausdrücken zu können. Rationnell gesehen ist das natürlich Schwachsinn, weil man sich auch für eine Mail Zeit nehmen kann. Trotzdem kommt es mir so vor, dass man einen handschriftlichen Satz eher überliest als einen getippten.
Hinzu kommtt, dass man auf Internet dazu neigen kann, unbedacht Nachrichten abzuschicken, die falsch aufgenommen werden können oder schlicht und einfach zu emotional und daher nicht ausdrücken, was man eigentlich sagen wollte.

Deshalb bin ich glücklich, dass ich beide Arten der Kommunikation nutzen kann: Die schnelle und die langsame. Denn es ist unbestreitbar, dass Briefe, vor allem aus Russland nach Europa, gerne länger brauchen. Deshalb sind sie für organisatorische oder dringende Fragen ungeeignet.
Doch für tiefgehendere Fragen, komplexere Ideen oder Gefühle sind sie, zumindest für mich, genau das Richtige,weil ich während dem Schreiben auch tiefer in mich schauen kann, da ich mir nicht nur Zeit für den Empfänger, sondern auch für mich nehme.
In unserer Epoche,in der alles schnell gehen sollte, ist es also auch eine Art und Weise,selber runter zu schalten. Letztendlich muss ich noch hinzufügen, dass es einfach schöner ist, einen richtigen Brief, auf echtem Papier zu empfangen, als eine elektronische Nachricht auf dem Bildschirm; ganz abgesehen vom Inhalt.
Das kommt nicht nur daher, dass er materieller ist, sondern rührt vielleicht genau vn der Tatsache, dass man sich bewusst ist, dass der Verfasser sich Zeit genommen hat, seine Gedanken nieder zu schreiben.

Wie in so vielen Dingen, ist also eine gesunde Mischung sicherlich das Beste: Denn trotz allen Vorteilen sollte man es mit den Briefen auch nicht übertreiben, und das nicht nur, weil es schlechter für die Umwelt ist (Was macht schon das bisschen Papier aus, wenn man sich die Verschwendung ansieht, die überall betrieben wird?), sondern auch, weil es wahrscheinlich schöner ist, wenn es trotz alle etwas besonderes bleibt, einen erwarteten Brief zu öffnen.

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