Montag, 13. April 2015
Filme
Als ich angefangen habe, das Gefühl zu bekommen, genug russisch zu können, um Filme ohne Erklärungen eines Dritten verstehen zu können, habe ich entschieden ab und zu ins Kino zu gehen.
Dabei ist mir sofort aufgefallen, dass dies den unseren Einrichtungen sehr ähnelt; sowohl vom Aussehen als auch vom Angebot: Die populären Hollywoodfilme (synchronisiert; wobei dies mittlerweile anständig gemacht wird, mit Schauspielern und nicht mit einer monotonen Stimme, die gefühllos alle Redebeiträge übersetzt, wobei man das Original nur leise im Hintergrund hört.) neben russischen Filmen, die wir in Europa kaum kennen.
Allgemein ist mir aufgefallen, dass Kinos sowie eigentlich die meisten kulturellen Einrichtungen gut besucht sind, wobei das Publikum hier wesentlich jünger ausfällt während es im Theater oder dem Konzert gemischten Alters ist. Was jedoch ins Auge sticht: Die Preise der verschiedenen Veranstaltungen sind sehr ähnlich: Konzerte fallen nämlich billiger aus als bei uns, die Kinopreise entsprechen aber den europäischen, was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass Kinos allesamt private Einrichtungen sind.

Den ersten russischen Film, den ich mir angesehen habe, sollte allgemein relativ bekannt sein, da er für den Oscar nominiert wurde: Leviathan.
Meiner Meinung nach spiegelt er die russische Melancholie, die dann trotzdem mit Lebensfreude verbunden ist, subtil wider. Zudem sind die Landschaftsbilder atemberaubend-sie zeigen immer wieder wie viel Raum es hier überall gibt. Was mich verwundert, ist, dass Korruption das Hauptthema ist, wobei der lokale Governator mit dem Popen unter einer Decke steckt, und sie relativ skrupellos ihr Ziel verfolgen, ein Haus abzureiβen um eine neue Kirche an dieser Stelle zu errichten.
Diese offene Kritik ist natürlich realistisch (nicht nur für Russland!), und genau deshalb nicht eindeutig. In der Tat geht sie ja auf Kosten der 2 wichtigsten Institutionen mit dem gröβten Einfluss, die ja sonst unantastbar sind. Wahrscheinlich stellt der Film dann aber doch kein Problem dar, da es sicherlich als provinzieller Einzelfall abgetan werden kann.
Hinzu kommt, dass es sowieso allgemein bekannt ist, dass Korruption verbreitet ist, und die Leute einfach damit leben, da sie sich ohnehin (zu Recht?) als machtlos gegenüber der Willkür, derer die Geld haben, ansehen. Dies verhindert aber nicht, dass sie Ungerechtigkeiten und Lügen nicht als solche identifizieren können.

Die anderen beiden Filme, die ich gesehen habe, sind ganz anderer Art: Es geht nicht um die Gesellschaft und das Leben von heute, sondern um die Kriege von gestern und vorgestern.
Es fällt auf?, dass es viel mehr Kriegsfilme gibt, als in Europa, wobei in allen (zumindest alle die mir bekannt sind, auch wenn es nur durch die Vorschau ist) die Ereignisse aus der russischen Perspektive gezeigt werden.
Hinzu kommt, dass die wichtigsten Sponsoren verschiedene russische Ministerien, darunter das Kriegsministerium, vor dem Film groβ als solche am Bildschirm erscheinen.
Dies alles bestärkt ja zunächst einmal den Eindruck, dass es sich um (mehr oder weniger versteckte) Propaganda handelt.
Das ganze Thema Krieg wird hier ohnehin grundsätzlich anders behandelt als bei uns: Vor allem der zweite Weltkrieg hat eine andere Bedeutung.
Zunächst einmal heiβt er der „Groβe Vaterlandskrieg“ und zweitens hat die Sowjetunion diesen gewonnen und Europa befreit. Dies geht so weit, dass der amerikanische Beitrag so gut wie ganz ausgeblendet oder zumindest stark verdreht wird: Viele Menschen sind der Meinung, dass diese nur in der Normandie eingetroffen sind, da sie wussten, dass die rote Armee bald in Berlin sei. Andererseits finden sie es erstaunlich, dass nur Amerikaner beispielsweise Luxemburg befreit haben - obschon es eindeutig westlich liegt.
Allein die Aussage, dass nicht nur Russland alleine der Sieg zuzuschreiben ist, finden so manche irritierend. Dies kommt auch daher, dass der 9te Mai Feiertag ist, als „Tag des Sieges“-der den russischen Veteranen zu verdanken ist. Dieses Jahr ist sogar besonders, weil das 70te Jubiläum gefeiert wird: Die Kriegsveteranen (die ständig geehrt, jedoch sozial nur sehr wenig unterstützt werden) bekommen in den Wochen vor Mai Aufmerksamkeit, die dann wieder bis zum nächsten Jahr einschlummern wird. Die Meinung, dass es sich um „mehr Lärm als Hilfe“ handelt, wird dadurch unterstrichen, da es vorkommen kann, Veteranen zu sehen, die mit einem Holzbein herumlaufen...
Der erste Weltkrieg hingegen bekommt wesentlich weniger Beachtung, da dieser ja sofort vom Bürgerkrieg gefolgt wurde und somit für Russland weniger Bedeutung hat.
Allgemein kann man behaupten, dass die Geschichtsauffassung stark beeinflusst ist und kaum jemand eine neutrale Haltung einnimmt. Diese Tatsache stammt jedoch nicht allein von der Sowjetpropaganda, da dies auch jetzt noch in der Schule so erklärt wird.
Dies alles war der Grund, weshalb ich mich auf Propagandafilme eingestellt hatte.
Der erste Film bestätigte meine Annahme: Bataillon. Es geht darum, dass während des ersten Weltkrieges ein Frauenbataillon zusammengestellt wird, das die männlichen Soldaten, die die Motivation verloren hatten (und mit den Deutschen Schnaps tranken), an der Front unterstützen sollte. Dieses bestand nur aus Freiwilligen, die sich meist aus Verzweiflung (da der Ehemann gefallen ist) oder Sehnsucht (um den Mann sehen zu können) meldeten.
Der Groβteil des Films besteht darin, dass ungefähr 150 junge Frauen in einem Trainingscamp auf den Krieg vorbereitet werden, wobei dies nicht ohne Zickereien vonstatten geht.
Nach einer gewissen Zeit wollen alle unbedingt an die Front, und als dies endlich genehmigt wird, bricht helle Freude aus. Obschon diese nach den ersten Kämpfen, die viel realistischer und brutaler (weil aus der Nähe) dargestellt sind, als es in beispielsweise amerikanischen Filmen üblich ist, abklingt, benehmen sie sich heldenhaft und ihre Taten werden verherrlicht, wobei im Kontrast die Männer meist als Säufer und Rohlinge auftreten.
Letztendlich bringt das Ganze ja dann doch nichts (auch wenn sie einige Schlachten gegen die Deutschen gewinnen, die ihrerseits auch als Unmenschen auftreten, die jedoch listig genug sind, die Soldaten zu betrinken um ihnen Informationen über Stellungen in Erfahrung zu bringen), was jedoch nicht den Frauen zuzuschreiben ist.

Der Krieg wird also trotz allem als etwas Notwendiges angesehen, für das man Opfer bringen kann und sollte. Zudem wird die historische Tatsache unterstrichen, dass auch Frauen, also jeder, in den Kampf ziehen kann, wenn es um das Vaterland geht.

So war ich auch auf einen ähnlichen, wenn nicht noch viel schlimmeren, Film eingestellt, als ich „Die Schlacht um Sevastopol“ sehen wollte. Dieser spielt im zweiten Weltkrieg, 1941, als die Nazis erfolgreich in der Sowjetunion einfallen, und die Krim, hier konkret Sevastopol, erobern wollen.
Wenn man das schon hört, klingeln die Propagandaglocken..
Dabei ist die Hauptdarstellerin eine Studentin aus Kiew, bei der zufälligerweise am Schieβstand entdeckt wird, dass sie schieβen kann, und in ein Trainingslager eingeladen wird. Später kämpft die dann auch gegen die Nazis.
Doch das Ganze wird nicht so dargestellt, dass es jemanden vom Krieg überzeugen sollte: Nachdem sie mehrmals verletzt wurde, jedes Mal, wenn sie sich emotional bindet, den Geliebten verliert, weil er fällt und ein menschliches Wrack ist, weil sie 309 Menschen erschossen hat, fliegt sie in einer Delegation nach Amerika, um Hilfe gegen die Deutschen anzufragen. Dort nimmt sich Roosevelts Frau ihrer mit Wohlwollen an, da sie und ihr Leben für sie wie ein Geheimnis ist, ihr aber auch Leid tut.
So ist diese auch die Erzählerin, die quasi als Freundin ihr Leben schildert. Nach dem Krieg wird sie dann als sowjetische Volksheldin geehrt: Wie so oft handelt es sich ja um eine wahre Geschichte.

Wenn man das so sieht, merkt man, dass man nicht von einem Propagandawerk reden kann: Die Amerikaner sind Freunde, der Krieg wird eindeutig negativ dargestellt, und letzten Endes verlieren die Russen die Schlacht um Sevastopol, und nur einige wenige überleben, weil sie fliehen können.
Und doch ist Ljudmila, die Heldin, Ukrainerin, sogar aus Kiew, wobei sie sich als Russin bezeichnet (zu Sowjetzeiten ist der politische Kontext zwar anders, und doch fällt das Wort „Ukraine“ während der gesamten Spielzeit kein einziges Mal), und russisch spricht. Zudem ist es meiner Meinung nach kein Zufall, sondern irgendwie versteckte Propaganda (oder zumindest ein Verweis auf die Aktualität), dass die Hauptstadt der Krim, die hier ja von Russen (wenn auch erfolglos) verteidigt wird, im Titel steht -denn der Ort des Geschehens spielt für die Handlung nur eine sehr untergeordnete Rolle.
Wenn man sich diesen Film also halbwegs kritisch ansieht, und diese Tatsachen kurz ausblendet, ist es ein guter Film, der auch in mancher Hinsicht besser ist, als die Kriegsfilme, die ich kannte: die meisten wichtigen Personen sterben, vor allem die sympathischen (was realistisch ist), Grausamkeit herrscht auf beiden Seiten, selbst bei der Heldin: Als sie mit ihrem Kumpanen eine kleinere Gruppe von Nazis erschieβt, die Weihnachten feiern, und dabei lacht, bleibt das grausam, auch wenn die Opfer selbst auch schrecklich waren.
Wie kann man es als lustig empfinden, Menschen umzubringen? Wenn man zu viele Tote sieht, verliert man dann den Bezug dazu, und macht der Schmerz einen in der Hinsicht vielleicht zu einem Monster?
Gegen Ende, als sie zum zweiten Mal den Mann verliert, in den sie sich verliebt hat, wird sie gegen ihren Willen noch einmal an der Front eingesetzt: Als sie den faschistischen Sniper umgebracht hat, durchsucht sie seine Sachen und findet ein Foto mit ihm und seiner Frau... Man merkt, dass sie sich schuldig fühlt, da sie realisiert, dass auch er ein Mensch war.
Eine derartige Geschichte kann den Krieg also nur verurteilen, und diesen schon gar nicht rechtfertigen.
Abgesehen davon, ist mir noch aufgefallen, dass ich höchstwahrscheinlich niemals derartige Überlegungen anstellen würde, wenn es sich um einen Hollywoodfilm handeln würde, obwohl dies sicherlich mindestens genauso berechtigt wäre.

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