Freitag, 7. November 2014
Über Grenzen und Pässe
martinarussland, 09:40h
Mein Aufenthalt in Samara wird von einer Begleiterscheinung geprägt, an die ich vorher nicht gedacht hatte: Papierkram, Büroakratie und die Schikanen, die mit dieser einhergehen.
Der Tatsache, dass ich ein Visum brauchen würde, und auch, dass dieses, da ich nur Freiwillige bin, nur drei Monate gültig sein würde, war ich mir bewusst. Allerdings war ich der Meinung, dass es sich damit hätte: Ich habe mich gründlich geirrt.
Es reicht nicht, bloβ ein Visum zu haben, sondern, man muss auch jeweils in dem Ort, an dem man sich mindestens eine Woche lang aufhält, registrieren lassen. Abgesehen davon, dass dies bedeutet, dass jeder genau nachverfolgen kann, wo ich mich aufgehalten habe, ist es ein riesiger Aufwand: die Angestellten in der Herberge daran erinnern, mich anzumelden, bei der Abreise, den Schein nicht vergessen, wieder zu hause nicht vergessen, sich wieder registrieren zu lassen.
Hinzu kommt noch, dass man neben dem Pass oder der Registrierung auch noch ständig den Immigrationsschein mit sich herum schleppen muss.
An und für sich ist das kein unheimlich groβer Aufwand, aber es ist trotz allem umständlich, und vor allem ungewohnt. Denn ich habe das Glück, in einem Umfeld aufgewachsen zu sein, der das Gegenteil erlaubt: Reisen und umherfahren wie es mir beliebt. In Luxemburg ist es sogar üblich, über die Grenze zu fahren, um einfach shoppen zu gehen, ganz zu schweigen von den unzähligen Pendlern, die jeden Tag ohne Kontrolle zu uns arbeiten kommen.
Und jetzt, plötzlich, all dieser Papierkram, all die Kontrollen und Prozeduren.
Meine Situation erinnert mich an jene, die Stefan Zweig in seiner Autobiographie („Die Welt von gestern“) beschreibt: Er ist vor 1914 geboren und aufgewachsen, und hat viele Freiheiten in dieser Hinsicht gehabt, die nach dem Krieg natürlich verschwanden. Er schreibt: „Wir konnten reisen ohne Pass und Erlaubnisschein, wohin es uns beliebte, niemand examinierte uns auf Gesinnung, auf Herkunft, Rasse und Religion.“ Oder auch: „Es gab keine Erlaubnisse, keine Verstattungen, und ich ergötze mich immer wieder neu an dem Staunen junger Menschen, sobald ich ihnen erzähle, dass ich vor 1914 nach Indien und Amerika reiste, ohne einen Pass zu besitzen oder überhaupt je gesehen zu haben.“
Er war es, wie ich und alle Europäer, gewohnt, frei zu sein oder zumindest zu reisen, ohne sich um Papierkram zu sorgen. Erst jetzt lerne ich dies richtig zu schätzen, weil es vorher zu selbstverständlich vorkam: Es war einfach normal umher zu reisen; es fiel kaum auf, dass man eine Grenze überschritt, weil man überall dieselbe Währung hat.
Hier kommt nämlich auch noch der Geldwechsel hinzu, welcher weitere Umstände mit sich bringen kann, weil man ja schnell übers Ohr gehauen werden kann; vor allem momentan, da der Rubel konstant an Wert verliert.
So kommt es, dass mir klar geworden ist, wie viel Wert die EU auch im praktischen Sinne hat: sie erleichtert den Alltag erheblich. Was politische sowie wirtschaftliche Faktoren angeht, gibt es sicherlich gewisse Vor- und Nachteile, aber in dieser Hinsicht gibt es keinen Nachteil! Sie erlaubt den Menschen, nicht ständig in der Angst zu leben, etwas vergessen zu haben, und deshalb nach hause geschickt zu werden.
Denn dieser Papierkram ist trotz allem entwürdigend: Man wird einmal mehr zur Nummer ohne weitere Bedeutung oder gar Wert abgestuft. Das Gesicht auf Pass ist dort nichts mehr als ein Beweis seiner Echtheit, die Persönlichkeit oder Geschichte der betreffenden Person interessiert niemanden: Egal, welche Probleme man hat; wenn die Papiere nicht in Ordnung sind, ist nichts zu machen.
Anders, wie Zweig es ausdrückt: „Früher hatte der Mensch nur einen Körper und eine Seele. Heute braucht er noch einen Pass, sonst wird er nicht wie ein Mensch behandelt.“ Diese Tatsache wird auch durch das Beispiel der zahlreichen Flüchtlinge unterstrichen, die tagtäglich schrecklich behandelt und abgeschoben werden.
Ich verstehe eine gewisse Notwendigkeit eines Passes. Aber trotzdem: wie schön, geradezu utopisch, erscheint mir die Vorstellung, ohne weiteren Aufwand die Welt zu sehen.
Umso besser erscheint mir daher die Tatsache, dass dies zumindest im Schengenraum der Fall ist.
Der Tatsache, dass ich ein Visum brauchen würde, und auch, dass dieses, da ich nur Freiwillige bin, nur drei Monate gültig sein würde, war ich mir bewusst. Allerdings war ich der Meinung, dass es sich damit hätte: Ich habe mich gründlich geirrt.
Es reicht nicht, bloβ ein Visum zu haben, sondern, man muss auch jeweils in dem Ort, an dem man sich mindestens eine Woche lang aufhält, registrieren lassen. Abgesehen davon, dass dies bedeutet, dass jeder genau nachverfolgen kann, wo ich mich aufgehalten habe, ist es ein riesiger Aufwand: die Angestellten in der Herberge daran erinnern, mich anzumelden, bei der Abreise, den Schein nicht vergessen, wieder zu hause nicht vergessen, sich wieder registrieren zu lassen.
Hinzu kommt noch, dass man neben dem Pass oder der Registrierung auch noch ständig den Immigrationsschein mit sich herum schleppen muss.
An und für sich ist das kein unheimlich groβer Aufwand, aber es ist trotz allem umständlich, und vor allem ungewohnt. Denn ich habe das Glück, in einem Umfeld aufgewachsen zu sein, der das Gegenteil erlaubt: Reisen und umherfahren wie es mir beliebt. In Luxemburg ist es sogar üblich, über die Grenze zu fahren, um einfach shoppen zu gehen, ganz zu schweigen von den unzähligen Pendlern, die jeden Tag ohne Kontrolle zu uns arbeiten kommen.
Und jetzt, plötzlich, all dieser Papierkram, all die Kontrollen und Prozeduren.
Meine Situation erinnert mich an jene, die Stefan Zweig in seiner Autobiographie („Die Welt von gestern“) beschreibt: Er ist vor 1914 geboren und aufgewachsen, und hat viele Freiheiten in dieser Hinsicht gehabt, die nach dem Krieg natürlich verschwanden. Er schreibt: „Wir konnten reisen ohne Pass und Erlaubnisschein, wohin es uns beliebte, niemand examinierte uns auf Gesinnung, auf Herkunft, Rasse und Religion.“ Oder auch: „Es gab keine Erlaubnisse, keine Verstattungen, und ich ergötze mich immer wieder neu an dem Staunen junger Menschen, sobald ich ihnen erzähle, dass ich vor 1914 nach Indien und Amerika reiste, ohne einen Pass zu besitzen oder überhaupt je gesehen zu haben.“
Er war es, wie ich und alle Europäer, gewohnt, frei zu sein oder zumindest zu reisen, ohne sich um Papierkram zu sorgen. Erst jetzt lerne ich dies richtig zu schätzen, weil es vorher zu selbstverständlich vorkam: Es war einfach normal umher zu reisen; es fiel kaum auf, dass man eine Grenze überschritt, weil man überall dieselbe Währung hat.
Hier kommt nämlich auch noch der Geldwechsel hinzu, welcher weitere Umstände mit sich bringen kann, weil man ja schnell übers Ohr gehauen werden kann; vor allem momentan, da der Rubel konstant an Wert verliert.
So kommt es, dass mir klar geworden ist, wie viel Wert die EU auch im praktischen Sinne hat: sie erleichtert den Alltag erheblich. Was politische sowie wirtschaftliche Faktoren angeht, gibt es sicherlich gewisse Vor- und Nachteile, aber in dieser Hinsicht gibt es keinen Nachteil! Sie erlaubt den Menschen, nicht ständig in der Angst zu leben, etwas vergessen zu haben, und deshalb nach hause geschickt zu werden.
Denn dieser Papierkram ist trotz allem entwürdigend: Man wird einmal mehr zur Nummer ohne weitere Bedeutung oder gar Wert abgestuft. Das Gesicht auf Pass ist dort nichts mehr als ein Beweis seiner Echtheit, die Persönlichkeit oder Geschichte der betreffenden Person interessiert niemanden: Egal, welche Probleme man hat; wenn die Papiere nicht in Ordnung sind, ist nichts zu machen.
Anders, wie Zweig es ausdrückt: „Früher hatte der Mensch nur einen Körper und eine Seele. Heute braucht er noch einen Pass, sonst wird er nicht wie ein Mensch behandelt.“ Diese Tatsache wird auch durch das Beispiel der zahlreichen Flüchtlinge unterstrichen, die tagtäglich schrecklich behandelt und abgeschoben werden.
Ich verstehe eine gewisse Notwendigkeit eines Passes. Aber trotzdem: wie schön, geradezu utopisch, erscheint mir die Vorstellung, ohne weiteren Aufwand die Welt zu sehen.
Umso besser erscheint mir daher die Tatsache, dass dies zumindest im Schengenraum der Fall ist.
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