Donnerstag, 9. Oktober 2014
Gedanken zur Sprache
Wenn man, wie ich, täglich mit Leuten zu tun hat, die nicht sprechen können, sind gewisse Denkansätze, die die Sprache betreffen unausweichlich.
Die betroffenen Personen können mehr oder weniger gut mit anderen kommunizieren: mit Mimik, Gestik, eventuell Lauten. Da sie meist nur auf Fragen antworten müssen, klappt das.
Aber es fällt einfach auf, was für enorme Vorteile die Sprache mit sich bringt! Durch sie wird Kommunikation einfacher, schneller, präziser und somit effizienter sowie unmissverständlicher.
Das leuchtet relativ schnell, wenn nicht spontan, ein.
Allerdings ist es für uns so selbstverständlich, dass uns dies im Alltag kaum bewusst wird. Deshalb tun wir uns auch so schwer, wenn es auch ohne diesen Luxus gehen muss:
Mit Fremdsprachen, beispielsweise: man fühlt sich verloren, hilflos, ausgeschlossen, weil man andere nicht oder nur schlecht versteht und sich nicht ausdrücken kann. Momentan ist dieses Gefühl (wenn auch mittlerweile etwas weniger) bei mir persönlich ständig präsent.
Von daher kann ich mir in etwa vorstellen, wie frustrierend es sein muss, wenn man die eigenen Gedanken, Gefühle und Wünsche kaum oder nur sehr mühsam mitteilen kann-und dies das ganze Leben lang! Wenn man bemerkt, dass der Gegenüber keine Lust, Geduld oder Zeit hat, einen verstehen zu wollen, bleibt man lieber stumm und passiv als sich auch noch bloβ zu stellen.
Allerdings habe ich den Vorteil, keineswegs mein ganzen Leben diese Barrieren anzutreffen. Und, was vielleicht noch ausschlaggebender für die Grundeinstellung ist: Ich kann meine Kenntnisse verbessern, und so hoffen, dass ich potenziell auch im russischen diese Grenze überschreiten und mich im Umgang mit der Sprache wohler fühlen kann.
Doch diese Menschen haben keine derartige Motivation: meistens schöpfen sie ihre Fähigkeiten schon voll aus; und wenn nicht durch wundersame Weise eine neue Therapie eine Weiterentwicklung ermöglicht, sind die Anstrengungen keineswegs auf Verbesserung, sondern nur auf die Kommunikation an sich bezogen.

Man kann den Gedanken also noch weiter führen: Sie geben ihr Bestes, also sollten wir, die es doch so einfach haben, die Konventionen beiseite schieben, und uns auf eine neue Art der Kommunikation einlassen. Geduld, Kreativität und vor allem Verständnis sind gefragt, werden jedoch auch belohnt.
Warum es nicht mit Mimik, Gestik, eventuell Musik, Bewegungen, langsames Buchstabieren und sich auf die Unterschiede einlassen? Es ist mehr oder weniger möglich.
Der Grund weshalb es so schwer ist, ist dass es evolutiv ein fundamentaler „Mangel“ ist. Aber, zum Glück, leben wir in einer Gesellschaft, in der Menschenwürde und Respekt mehr Wert als der Überlebenskampf haben (oder zumindest sollten.) Deshalb wünsche ich mir für diese Menschen die Technologien, die es auch bei uns gibt, und die denLeuten ermöglichen, quasi nur mit Gedanken und einem Computer zu kommunizieren! Wie heiβt es in „Wüstenblume“? „Das erste Kamel in der Reihe ist genau so schnell wie das letzte.“
Abgesehen davon, dass Isolation durch Konvention grausam ist, verhindert man so, dass unsere Gesellschaft durch Diversität bereichert wird-nicht umsonst steht Integration ganz vorne in der UN-Konvention für die Rechte der Menschen mit Behinderung.

Mir ist also durch diese Erfahrungen nicht nur aufgefallen, dass Toleranz und Offenheit sowie Respekt fundamental sind. Sondern auch, dass wir die Sprache, diesen exklusiven evolutiven Vorteil, pflegen sollten: denn sie macht uns das Leben so einfach, dass wir sie dabei allzu oft vergessen und sie gedankenlos verunstalten.

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